Leben im Lockdown: Die Schulen und Unis bleiben leer. Die jungen Menschen sind Zuhause. Müssen selbst herausfinden, wie "online Lernen" funktioniert.

 

Hier erzähle ich die Geschichten dieser jungen Menschen.

 

 


Lara war in der Abschlussklasse – sie hat ihr Abitur im ersten Lockdown gemacht. Vorher war die große Frage „Wie läuft die Vorbereitung?“ Sie hat erlebt, wie ihre Schule spontan Teams als Onlineplattform einführte. Niemand konnte wirklich damit umgehen. Am allerwenigsten die Lehrer.

Das Ministerium hatte sich für die Abiturienten zusätzlich einige Vorbereitungsstunden in Präsenz ausgedacht. Dort saßen dann etwa 10 Schüler an Einzeltischen im halb leeren Klassenraum. Vorne stand der Lehrer. Keiner wusste so genau, was man mit der Stunde anfangen sollte. Und damals waren die Masken noch ungewohnt und awkward. Die ungewohnt große Gruppe nach Wochen der Isolation fühlte sich bedrohlich an. Was, wenn man sich ansteckt? Oder jemand Anders?

Die Abiturklausuren in der Turnhalle waren auch seltsam – aber Lara hat es geschafft.

Den Sommer konnte sie genießen. Sie zog mit zwei Schulfreundinnen nach Aachen. Sie wollten dort gemeinsam studieren. Aber dann ging das Semester los – die Unis blieben gerade mal eine Woche offen. Danach wurden die Studenten nach Hause geschickt. Sie hatten sich nicht mal richtig kennengelernt. Zu diesem Zeitpunkt wussten sie noch nicht, dass ein komplettes Jahr ohne persönliche Kontakte folgen sollte. Die Unis blieben bis September 2022 zu. Es gab so gut wie keine Präsenzveranstaltungen.

Man lernte sich online kennen, so weit es ging. Aber Lara erzählt, dass sie von einigen Kommilitonen weder einen Namen noch ein Gesicht kannte. Nur die Handynummer, die bei WhatsApp eingeblendet wird. Persönliche Treffen waren schwer. Viele Studenten waren ja wieder zurück zu den Eltern gegangen. Warum alleine in der Studentenbude in Aachen bleiben? Da riskiert man ja, in der Einsamkeit depressiv zu werden.

Lara war in dieser Zeit wirklich froh, dass sie in ihren Mitbewohnerinnen zwei alte Freundinnen an ihrer Seite hatte. Sie sagt aber auch „Viele Freunde habe ich zuhause im Stich gelassen.“


Sam war 14 als die Pandemie anfing. Sie hatte schon schulische Probleme - durch pubertätsbedingte Faulheit hatte sie den Anschluss verloren. Der Plan war: Sam wiederholt die Klasse 8 und kann dann ihre Lücken aufarbeiten.

Dann kamen Corona und der erste Lockdown. Mit dem Lernen Zuhause kam Sam gar nicht klar. Sie bekam sich nicht organisiert. Hat die Aufgaben vergessen, konnte mit dem Material alleine nichts anfangen. Es half nicht, dass die Onlineplattform moodle alles andere als strukturiert war.

Am Ende der Klasse 8 konnte man nicht sitzen bleiben. Die Lehrer wurden also befragt, ob man einen Wiederholungsantrag stellen sollte. Antwort "Nein, das ist nicht nötig. Sie hat keine Defizite auf dem Zeugnis". Woher auch? Die Lehrer hatten ja wegen des Lockdowns keine Bewertungsgrundlage. Das Bildungsmiinisterium hatte das ausdrücklich so verfügt. Leistungen während des Lockdowns durften die Note nicht verschlechtern.

In der Klasse 9 bekam Sam Leistungsprobleme. Schrieb 5er und 6er. Zum Halbjahr wurde ein Wiederholungsantrag gestellt. Die Lehrer lehnten ab. Statt einer Begründung kam ein Brief mit der Aufforderung, sich auf einen Förderkurs entweder in Deutsch oder Englisch festzulegen. Beide Leistungen waren mangelhaft.

Inzwischen geht Sam auf die Realschule statt auf das Gymnasium. Sie hatte Glück, dass ein Platz frei war. Sonst hätte sie auf dem Gymnasium bleiben müssen. Aber ihre Noten sind jetzt gut und langsam kommt auch ihr Selbstwertgefühl wieder ...

 


Miro war in der neunten Klasse einer Gesamtschule, als der erste Lockdown losging. Wie viele Jungen in seinem Alter fand er es erst mal toll, nicht in die Schule zu müssen. Im Onlineunterricht hat er mehr mit seinen Kumpels gechattet als dem Lehrer zuzuhören. Was auch daran lag, dass die Lehrer wenig Erfahrungen mit Videoanrufen hatten. Deshalb mussten sie sich mehr auf die Technik konzentrieren als auf Disziplin. Manchmal kamen auch völlig Fremde in die Videoanrufe und haben bewusst gestört – zum Beispiel laute Musik gespielt oder rumgeschrien.

Irgendwann hat Miro aber gemerkt, dass der Lockdown sehr einsam war. Er wohnte sehr weit von seiner Schule weg. Deshalb hat er seine Freunde den monatelang nicht gesehen. Sie waren einfach zu weit weg für einen Fünfzehnjährigen, der auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist.

Als im Spätsommer 2020 ein paar Monate regelmäßiger Unterricht war, hat Miro gemerkt: Seine Klassenkameraden waren noch weiter im Stoff zurück als er. So hat er die zehnte Klasse ziemlich gut geschafft.

 


Elli stand kurz vor dem Abitur als der erste Lockdown kam. Sie musste miterleben, wie die Politik im Schlingerkurs versucht hat, irgendwie die Abiturprüfungen und die Vorbereitung für das Abitur zu planen. Sie hätte sich mehr Klarheit und eindeutige Informationen gewünscht. Stattdessen gab es Gerüchte. Aber am Ende hat sie es geschafft – denn sie ist immer eine sehr gute Schülerin gewesen.

Für sie waren die kommenden Monate schwer, weil sie mit dem Abi ihr gesamtes soziales Umfeld verloren hat. Die Schulfreunde zogen weg. Eigentlich wäre jetzt das Studium gekommen.
Aber neue Bekanntschaften online schließen ist schwierig. Elli hat ihre ersten beiden Semester fast ausschließlich online studiert. Trotzdem hat sie es geschafft, Kommilitonen kennenzulernen. Lerngruppen zu bilden. Aber persönliche Treffen gab es fast keine. Auch die Freundschaften beschränkten sich auf den Monitor. Persönliche Treffen kann sie an den Fingern einer Hand abzählen.

Die Unis blieben ein Jahr lang komplett zu. Egal wie niedrig die Inzidenzen waren und egal, was alles geöffnet war.

Ellis Schwestern sind zwischendurch monatelang in die Schule gegangen, während Elli immer noch auf ihre erste Präsenzvorlesung gewartet hat. Zum Glück waren Elli und ihre Schwestern vernünftig. Die ungerechte Lebenssituation konnte keinen Keil zwischen sie treiben.

Ihr drittes Semester fand immerhin zur Hälfte der Vorlesungen in Präsenz statt. Jetzt waren die Kommilitonen auch alle in Aachen und konnten sich zwischendurch privat treffen. In Präsenz. Ein wenig Normalität für Elli.

Aber die Realität im dritten Semester war auch sehr frustrierend. Denn wieder hat auch die niedrigste Inzidenz nichts genutzt. Die Unis sind nie zum vollen Präsenzbetrieb zurückgekehrt. Während in den Discos und Clubs fröhlich gefeiert wurde. Fernsehübertragungen von Veranstaltungen mit vollen Hallen ohne Abstand und Maske müssen sich für Elli in dieser Zeit wie eine Ohrfeige angefühlt haben.

 


Alex war 16 als die Pandemie anfing. Sie hatte es gerade in die Oberstufe einer Gesamtschule geschafft. Aber es war eng gewesen. Sie hat sich die Chance erarbeitet. Der Plan war: Ausprobieren, ob sie das Abi schaffen kann. Wenn nicht, eine Ausbildung machen. Dafür war ein Fachabi notwendig – also wäre sie wenn nötig auf eine berufsbildende Schule gewechselt. Das sollte doch klappen.

Aber mit dem ersten Lockdown wurde auch die Rückmeldung über Alex Leistungen in der Schule ausgesetzt. Blindflug für einen jungen Menschen, der gerade jetzt auf Rückmeldungen angewiesen war.
Anfragen bei den Lehrern erbrachten beruhigende Worte: „Mach dir keine Sorgen, deine Leistungen sind in Ordnung. Du hast keine Defizite.“

Im Herbst 2020 im Präsenzunterricht stellte sich heraus: Die Lehrer hatten auch keine Ahnung gehabt. Alex bekam 5er und 6er. Klärende Gespräche mit den Lehrern waren nicht mehr möglich. Inzwischen war das Land wieder im Lockdown.

Alex hätte sich gerne wegen ihrer beruflichen Vorstellungen beraten lassen. Was war angesichts ihrer schulischen Probleme der beste Kurs? Aber das zuständige Amt war im Lockdown. Beratungsgespräche gab es nicht mal per Videoanruf. Hier hatte Alex Glück und hat einen netten Menschen gefunden. Eine Frau im Amt hat Alex ihre Privatnummer gegeben und sie in ihrer Freizeit beraten.

Alex landete tatsächlich auf der berufsbildenden Schule. Sie wollte es sich ersparen, den Rest des Schuljahres auf der Gesamtschule zu verschwenden. Auf der neuen Schule kam sie mitten im Lockdown an. Sie wurde in alle Onlineteams aufgenommen – aber weitere Informationen gab es nicht. Alex hat alle Aufgaben erledigt, die sie online fand. Irgendwann stellte sie fest, dass es Veranstaltungen gab, von denen sie nichts wusste. Einmal meldete sie sich in Teams an, fand eine laufende Videokonferenz und trat bei. Da hat sie hinterher die Lehrerin gefragt, ob die Konferenz regelmäßig war. Ja, war sie. Es hatte wohl niemand gemerkt, dass Alex nicht da war – Online waren die Konferenzen nicht vermerkt.

Am Ende des Schuljahres fand Alex auf ihrem Zeugnis 66 unentschuldigte Fehlstunden. Woher die kommen, konnte ihr niemand sagen – es waren Sommerferien und das Klassenbuch war in der Schule eingeschlossen. Alex vermutet aber, die Fehlstunden hängen mit weiteren unangekündigten Videokonferenzen zusammen, bei denen sie nicht zufällig zum richtigen Zeitpunkt nachgesehen hat.

Die Noten waren wieder entsprechend schlecht und Alex hat sich entschlossen, die EF zu wiederholen. Nochmal. Sie möchte nun mal Erzieherin werden und braucht dafür das Fachabi. Sie hofft einfach, dass der Unterricht regulär laufen kann. Und dass sie es tatsächlich schafft, das Fachabi zu machen.

 

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